„Ambulante psychiatrische Pflege“ auch für stationäre Einrichtungen interessant?

Veröffentlicht am: 27. Juli 2015

Ist die Weiterbildung „Ambulante psychiatrische Pflege“ auch interessant für stationäre Einrichtungen? Angelika Lacroix, Pflegedienstleitung in der Klinik für Psychiatrie Reinkenheide in Bremerhaven nimmt zu dieser Frage Stellung im Interview mit Jörn Petersen von der Initiative zur sozialen Rehabilitation.
„Ambulante psychiatrische Pflege“ (APP) wurzelt in der Anti-Psychiatrie-Bewegung, die zur Auflösung der großen psychiatrischen Langzeiteinrichtungen geführt hat. Seit nunmehr zwölf Jahren führen ibs und die Initiative zur sozialen Rehabilitation die Weiterbildung APP als Kooperationsprojekt durch. Die Zielsetzung ist eindeutig gemeinwesenorientiert und institutionskritisch.

Was motiviert Angelika Lacroix, Pflegedienstleitung (PDL) der Klinik für Psychiatrie am Krankenhaus Reinkenheide in Bremerhaven, regelmäßig Teilnehmer/innen in die Weiterbildung zu schicken? Jörn Petersen von der Initiative zur sozialen Rehabilitation hat nachgefragt:

Petersen: Frau Lacroix, Sie als Pflegedienstleitung haben sich in der Vergangenheit immer wieder entschieden, Pflegekräfte in die ambulante psychiatrische Pflegeweiterbildung beim ibs zu entsenden. Was hat Sie in der Personalplanung motiviert, ein Weiterbildungsangebot mit Schwerpunkt auf gemeinwesenorientierte und ambulante Versorgung zu nutzen?

PDL Angelika Lacroix: Aus meiner Sicht kann die Ausrichtung der Klinikmitarbeiter nicht stark genug auf das ambulante Versorgungssystem und das Leben im Gemeinwesen orientiert sein. Denn die Probleme der Menschen entstehen in ihrer häuslichen Umgebung, am Arbeitsplatz und im Gemeinwesen. Das psychiatrische Krankenhaus ist heute immer nur eine Episode, ein Freiraum von der Situation im Leben zuhause. Wir können dort aus meiner Sicht nur mit dem persönlichen oder professionellen Netzwerk Lösungen besprechen, eventuell Medikamenteneinstellungen vornehmen, Diagnostik machen, aber die echten Veränderungen sollten immer im ambulanten Rahmen stattfinden.
Deshalb ist es uns als Leitung wichtig, dass unsere Mitarbeiter eine sozial-psychiatrische Grundhaltung durch die Weiterbildung erhalten, über die ambulante Arbeit und auch die Vernetzung mit den ambulanten Systemen kennen lernen und kooperativ gut mit ihnen zusammen arbeiten..

Abgesehen davon arbeiten wir hier in Reinkenheide auch mit einem Teil unserer Mitarbeiter ambulant und das wollen wir in Zukunft noch verstärken. Wir haben jetzt den Großteil der inhaltlichen Arbeit unseres Modellprojekts zur integrierten Versorgung abgeschlossen, die genau diese Ansätze zum Ziel hat, eine intensive Vernetzung aller Akteure im psychiatrischen System.

Aber zurück zu der von Ihnen angebotenen Weiterbildung: Die inhaltliche Ausrichtung gefällt mir sehr gut. Sie deckt sich mit den Ansätzen, die mir in der Arbeit wichtig sind.
Wir brauchen Mitarbeiter, denen die eben die eben beschriebenen sozialpsychiatrischen Inhalte umfänglich vermittelt werden, mit den methodischen Bausteien, die dafür notwendig sind. Dazu gehören die klientenzentrierte Gesprächsführung nach Rogers, Systemische Inhalte, Salutogenese, ein reflektierter Umgang mit Medikamenten, die Nutzerorientierung in der Psychiatrie, die durch Elemente, wie Trialog sowie durch Konzepte zur Förderung von Selbstbestimmung in der Ausbildung ausführlich vermittelt werden.

Petersen: Können Sie sich vorstellen, dass eine große Weiterbildung zum Fachkrankenpfleger /pflegerin Psychiatrie mit einer ambulanten gemeinwesenorientierten Ausrichtung ebenfalls sinnvoll sein kann. Würden Sie auch für diese Ausbildung Beschäftigte entsenden?

PDL Angelika Lacroix: Inhaltlich würde ich eine solche Ausbildung begrüßen, allerdings ist diese Ausbildung mit erheblichen Kosten für die Teilnehmer verbunden, und das muss man im Einzelfall entscheiden. Stationsleitungen sollten immer eine Fachweiterbildung wie beschrieben haben. Ich arbeite daran.
Aber grundsätzlich bin ich der Überzeugung, dass sich die Ausrichtung in der Psychiatrie sich wegorientieren muss von stationären Ansätzen hin zu mehr Ausrichtung auf den ambulanten Rahmen, beispielsweise durch home treatment, NAT und gemeindepsychiatrische Verbünde. Auch sollten Behandlungskonferenzen (statt einer OA-Visite) in Krankenhäusern in der Regel sein. Es darf nicht mehr über den Patienten gesprochen werden, sondern grundsätzlich wird der Patient in seine Behandlung zu 100% einbezogen. Wir können den Patienten auf seinem Genesungsweg nur begleiten.
Mitarbeiter, die eine Fachweiterbildung anstreben, sollten die meiner Ansicht nach mit einer Ausrichtung machen, wie sie beim ibs gegeben ist.

Petersen: Vielen Dank für ihre Einschätzung, Frau Lacroix.

Informationen Weiterbildung Ambulante psychiatrische Pflege
Seit 2005 bietet das ibs in Kooperation mit F.O.K.U.S. diese Fortbildung an. Der Kurs gehört außerdem als ein Fachmodul zur staatlich anerkannten Fachweiterbildung Psychiatrie in Bremen. In diesem Jahr beginnt die Weiterbildung am 13.11.2015 und endet am 24.09.2016: »Ambulante psychiatrische Pflege.

Copyright © Juli 2015 ibs Institut für Berufs- und Sozialpädagogik e.V., Interview J. Petersen